MOSONYI MIHÁLY: KLAVIERTRANSKRIPTIONEN UND MÄRSCHE
Akkord A–1047 Budapest,
2003
NACHWORT
Biographie: Der Geburtsort von Mihály
Mosonyi, das Dorf Boldogasszony (dt. Frauenkirchen) im Komitat Moson
(dt. Wieselburger K.) war schon im 14. Jahrhundert ein bekannter Wallfahrtsort;
er gehört seit 1921 zu Burgenland, Österreich.[1] Der Komponist wurde am 4.
September 1815 geboren und nach seinem deutschsprachigen Großvater und Vater Michael
Brand getauft.[2] Als viertes Kind eines armen
Dorfkürschners mußte er sich früh auf eigene Füße stellen. Mit vierzehn wurde
er Sakristan in Magyaróvár (Ungarisch Altenburg). Nach einigen Jahren ließ er
sich an der Preßburger (ung. Pozsony) Lehrerbildungsanstalt einschreiben. Mit
zwanzig wurde er Hauslehrer der Kinder des Grafen Péter Pejachevich und seiner
Frau, Gräfin Franciska Esterházy im slawonischen Rétfalu neben Eszék (Osijek,
dt. Esseg, in Kroatien). Hier legte er die Grundlage seiner späteren
selbständigen Existenz und trug zur Vervollkommnung seiner Musikkenntnisse
durch fleißiges Selbststudium bei. 1842 übersiedelte er nach Pest,[3] wo er bis zu seinem Tod als
Musiklehrer tätig war. Er heiratete im Alter von einunddreißig Jahren. 1848–49
nahm er als Nationalgardist am ungarischen Freiheitskampf teil. Der Tod seiner
Frau im Jahre 1851 und die Tragödie des Landes stürtzten ihn in eine durch
tiefe Verzweiflung ausgelöste Schaffenskriese.
Seine von Beethoven und Schubert geerbte Musiksprache wurde in seiner
ersten Stilepoche (1837–49) allmählich von Elementen der deutschen Romantik
durchdrungen. Bereits seine ersten Werke bezeugen seine ausgeprägte Begabung
für Formen und Proportionen. Er komponierte in dieser Periode drei Messen, zwei
Symphonien, eine Ouvertüre, ein Klavierkonzert, eine Sonate für Klavier zu vier
Händen, ein Streichsextett, sieben Streichquartette, zwei Klaviertrios,
zahlreiche Chorwerke und fertigte Bearbeitungen an. Als er nach Pest
übersiedelte, tauchten ungarische Elemente in seiner Musik nur selten auf.
Seine Musik bereicherte sich aber in seiner zweiten Stilepoche (1853–57) mit
Schumannschen Elementen und nahm individuelle und moderne Züge an. Damals
entstanden seine vierte Messe, eine Vielzahl von Liedern, einige Chor-,
Klavierwerke und Bearbeitungen. Seine persönliche Bekanntschaft mit Liszt, der
Mißerfolg seiner romantischen deutschen Oper (Kaiser Max auf der
Martinswand) sowie der Erfolg seiner Klavierfantasie im ungarischen Stil Pusztai
élet (Puszta Leben) trugen zum abermaligen Stilwechsel seiner Kunst bei.[4]
Die ungarische Musik der Zeit beruhte auf dem Verbunkos. Die Wurzeln
dieses Stils reichen auf die mit Musik begleiteten Soldatenwerbungen zur Zeit
Maria Theresias zurück. Die frühen Meister des Verbunkos zeichneten sich mit
Ausnahme von Antal György Csermák (1774[?]–1822) nicht gerade durch ihre
musiktheoretischen Kenntnisse aus. Sie waren außergewöhnlich begabte Virtuosen,
Geiger mit einem angeborenen Talent für Melodiegestaltung und Improvisation wie
János Bihari (1764–1827) und János Lavotta (1764–1820). Nach dem
Tod der gebildeten Musiker Márk Rózsavölgyi (1789–1848) und Béni Egressy
(1814–1851) hatte der Verbunkos keine hervorragenden Persönlichkeiten mehr.
Obwohl die ungarische Musiksprache schon herausgebildet war, fehlte es noch an
musikalisch gebildeten Vertretern, die sich ihrer Erneuerung verpflichtet
fühlten. Da erzielte 1857 der Pester deutsche Komponist Michael Brand
durchschlagenden Erfolg mit seiner Verbunkosfantasie Puszta Leben.[5]
Der Stilwechsel erfolgte bewußt. Nach einem Jahr Vorbereitung trat er 1859
mit neuem Namen als Mihály Mosonyi, ungarischer Komponist und
Musikschriftsteller hervor und komponierte seine zwei ungarische Opern (Szép
Ilonka/Schöne Lenchen 1861, Álmos 1862), seine fünfte Messe, drei
Kantaten und vier symphonische Dichtungen. Zahlreiche Lieder, geistliche und
weltliche Chorwerke, Klavierstücke und Bearbeitungen von bleibendem Wert
entstammen ebenfalls dieser Periode.[6]
Mosonyis Tätigkeit als
Musikschriftsteller, ja sogar Erzieher des Publikums entfaltete sich in Zenészeti
Lapok, der ersten bedeutenden Musikzeitschrift in ungarischer Sprache. Fast
alle seiner in diesem Heft herausgegebenen Kompositionen erschienen erstmalig
dort. Der Besitzer und zugleich Chefredakteur dieser Zeitschrift war der
Musikschriftsteller, Komponist, Pianist und Pädagoge Kornél Ábrányi der Ältere
(1822–1903); seine Hauptmitarbeiter in der Redaktion waren der
Musikverleger Gyula Rózsavölgyi (1822–1861) und der Musikhistoriker,
Kritiker, Volksmusikwissenschaftler, Lehrer, Schriftsteller István Bartalus (1821–1899).
Mosonyi, der dritte Hauptmitarbeiter war am vielseitigsten: er schrieb
Leitartikel, Feuilletons, Streitschriften, musikpolitische Essays,
Konzertkritiken und Rezensionen. Um den Mangel an einem allgemeinen
Musikunterrichtsystem zu beheben, veröffentlichte er sogar eine Folge von
stufenweise aufgebauten Lektionen in Harmonielehre. Er gab einige der bei der
Schriftleitung eingegangenen Erstlingswerke aus pädagogischer Überlegung sowohl
in der Originalfassung als auch in verbesserter Form heraus und bearbeitete
manche, die er dafür würdig fand, in seinen eigenen Werken. An der Arbeit der
Redaktion nahm er von der Gründung der Zeitschrift (am 3. Oktober 1860) bis
1866 mit ungebrochenem Elan teil.[7]
Im Februar 1870 wurde Mosonyi zu einer Konferenz in der Frage der geplanten
Musikakademie eingeladen. Die Eröffnung der Akademie am 14. November 1875
erlebte er aber nicht mehr, obwohl er eine Säule dieser Lehranstalt hätte sein
können. Am 31. Oktober 1870 starb er
plötzlich an Lungenentzündung im Alter von 56 Jahren.[8]
Die
Beschreibung der Werke. Das 1860 komponierte Albumblatt Leopold
Komáromy’sche
Einladungskarte liefert beredten Beweis für
Mosonyis
Sinn für Humor und außergewöhnliches kompositorisches Können. Das Werk weist
keine Tonart im klassischen Sinn des Wortes auf: Es baut sich über einer
gegebenen Baßfortschreitung in strenger Vierstimmigkeit gemäß einer Art
romantischen „Atonalität“ auf. Wenn man die Baßtöne mit den von Mosonyi (nicht
überall) eingetragenen Buchstaben zusammenliest, ergibt sich eine spaßhafte
Einladung zu einem Fest in deutscher Sprache: „Hedue [Heute] beim
Faesel Soare [Soirée] da es andere Fersde [Versandte] hdesiche [?].“
Das Ende des Rätsels konnte bis zur Zeit der Veröffentlichung nicht gelöst
werden. In dem Manuskript sind weder Tempo- noch Charakterbezeichnungen zu
finden, aber sie sind durch den Fanfarenanfang bestimmt, der Ferenc Liszts (1811–1886)
Grand Galop chromatique (1838) in Erinnerung ruft. Im Takt 7 taucht auch
das Rákóczi-Motiv im Zusammenhang mit dem Fanfaren im Tritonus (h–f) –
diabolus in musica – auf[9]. Das
Manuskript des kurzen Gelegenheitswerkes gelangte 1959 in die Széchényi
Nationalbibliothek[10]; im
Druck erscheint es hier zum ersten Mal.
Die Klavierbearbeitung von Egressys Zuruf, die in der
Musikwissenschaft bis jetzt nicht berücksichtigt wurde, erschien in Zenészeti
Lapok (I/16, 16. Januar 1861, S. 125–126) als Anschauungsmaterial einer
Lektion des Komponisten in Harmonielehre. Mosonyi transponierte die
ursprüngliche D-Dur Tonart des Chorwerkes in Es-Dur, vereinfachte den
Klaviersatz wodurch er ihm feierlicheren Charakter verlieh. Da er Takt 19 in
einen Trugschluß verwandelte, wurde dadurch das Ende des Werkes verändert. Das
Gedicht Szózat (Zuruf) des Poeten Mihály Vörösmarty (1800–1855) wurde
1843 von Béni Egressy (1814–1851), dem Komponisten, Schauspieler,
Tenoristen, Übersetzer und bis heute erfolgreichsten ungarischen Opernlibrettisten
vertont, und gilt seither als eines der musikalischen Gebete der ungarischen
Nation.[11]
Die Melodie der alten Rákóczy-Weise erschien in der Zeitschrift Zenészeti
Lapok (II/17, 23. Januar 1862, 130) als Beilage zu einer Schrift des
Rechtsanwalts László Hajdu (1817[8?]–1880) von Túrkeve. In der Debatte,
die sich über die Identität des unbekannten Komponisten des Rákóczi Marsches
entflammte, erwies sich Hajdus Beitrag als die interessanteste Mitteilung. Er
legte überzeugend dar, daß die wahrscheinlichste Quelle der Melodie des
Rákóczi-Marsches das sogenannte Rákóczi-Lied von Siebenbürgen sei. Hajdu
notierte eine Form dieses Liedes nach dem Spiel des Zigeuner-Klarinettisten
Mihály Boka noch damals, als er Rechtspraktikant in Debrecen (1832–37) war,
ließ aber den Schwulst weg, der sich aus der improvisierten Spielweise ergab.
Mosonyi durfte an der Mitteilung sehr interessiert gewesen sein, zumal er die
Melodie ohne Veränderung harmonisierte und sie bloß durch einige Triller, die
fehlende Wiederholungszeichen und das da capo-Zeichen ergänzte. Diese
harmonisierte Fassung wurde in Zenészeti
Lapok nicht gedruckt. Das Originalmanuskript datiert mit 27. September 1863
gelangte im Jahr 1976 in die Széchényi Nationalbibliothek[12]; im Druck erscheint es hier
erstmalig.
Die Hirtenweise[13] erschien am 30. Oktober 1862 in Zenészeti
Lapok (III/5, 33–34). Die zwei Melodien, die der Komposition zugrunde
lagen, waren der Schriftleitung ebenfalls von László Hajdu mit der
ausgesprochenen Absicht zugeschickt worden, daß sie Mosonyi harmonisiere.
Mosonyi tat den Wünschen Hajdus Genüge. Er gestaltete die Melodie lebendiger
und war bestrebt, die Harmonien einfach zu halten, doch den Erfordernissen der
Zeit entsprechend neuartig erscheinen zu lassen. Gerade diese Einfachheit macht
diese Miniatur Mosonyis modern, zum Vorläufer gewisser Volksliedbearbeitungen
des 20. Jahrhunderts. Die Noten enthalten keine Gesangstimme (so daß das Stück
im Werkverzeichnis unter die Klavierwerke eingegliedert werden kann), der
Liedtext wurde nach dem Notendruck angebracht. Die Anfangszeilen lauten:
„Für langsam. / Es gereut mich
nicht, daß ich als Bauer geboren bin / So wurde ich leicht Rinderhirt. […]
usw. / Für frisch. / Meine Geliebte
ist die Wirtstochter / Ihr kommt keine Gold- oder Silbergrube gleich. […]
usw.“ Die „frische“ d. h. schnelle Melodie ist in der von Lajos
Vargyas zusammengestellten Beispielsammlung zu Zoltán Kodálys Buch
mit dem Titel Die ungarische Volksmusik (Nr. 298) zu finden. Die
Anfangszeile der ersten Strophe lautet: „Ich habe keinen lieberen Gast…“.
Hinsichtlich der Strophen 2–5 beruft sich Kodály auf das Volkstück Csikós
(Pferdehirt), das am 23. Januar 1847 im Nationaltheater uraufgeführt wurde.
Sein Text stammt von Ede Szigligeti (1814–1878), die Begleitmusik wurde
von József Szerdahelyi (1804–1851) zusammengestellt. Die fünfte
Liedeinlage des Stückes ist das Lied des Darstellers in der Titelrolle Andris,
die musikalisch der von Kodály veröffentlichten Melodie und dem schnellen
Abschnitt von Mosonyis Hirtenweise entspricht. Demgegenüber zeigt der Text
der Liedeinlage Ähnlichkeit mit den Worten des langsamen und nicht
des schnellen Abschnitts von Hirtenweise. Dieses Beispiel zeigt deutlich, daß
sich der Text der Volkslieder und der volkstümlichen Melodien im Lauf ihres
Gebrauchs frei verändert und abgelöst wurden.[14]
Der Opfermarsch aus der Oper „Álmos“ erschien bei Rózsavölgyi
és Társa im Dezember 1862.[15] Diese Bearbeitung läßt die
Erhabenheit der 23. Szene des dritten Aufzugs kaum ahnen: man soll versuchen,
sie bei der Aufführung zur Geltung zu bringen. Mosonyi vollendete die Partitur
von Álmos bereits am 4. Oktober 1862, die Aufführung des Werkes fand
jedoch erst 1934 statt. Diese Oper ist die wertvollste romantische Darstellung
in Musik der Geschichte der ungarischen Landnahme.[16]
Der Rákóczy-Marsch[17] kam
in Zenészeti Lapok in zwei Teilen heraus: der Marcia am 22.
Januar 1863 (III/17, 129–130), das Trio am 29 Januar (III/18, 139–140).
László Hajdu argumentierte in einem umfangreichen Artikel, daß der
Komponist des Rákóczy-Marsches János Bihari gewesen sei und nicht der
Militärkapellmeister Miklós Scholl (1778–1822), unter dessen Namen der
Marsch um 1820 zum ersten Mal gedruckt wurde. Er legte auch dar, daß die
Asymmetrie der Perioden des Rákóczi-Marsches von der improvisativen
Vortragsweise Biharis bzw. der stilistischen Unerfahrenheit des deutschen
Aufzeichners Scholl herrührt. Hajdu konstruierte unter Verwendung des
Musikstoffes der Rákóczi-Weise von Siebenbürgen eine Marschmelodie mit
regelmäßigen, d. h. achttaktigen Musikperioden. Mosonyi war von der Kühnheit
der Idee fasziniert: er harmonisierte Hajdus Melodie und schlug Veränderungen
der Melodie nur an zwei Stellen vor. Diese vortreffliche Bearbeitung
verbreitete sich aber nicht, weil sie im Musikhandel als Notenausgabe nicht
erschien. Vermutlich wurde ihre Veröffentlichung 1863 entweder von der Zensur
nicht gebilligt oder vom Verleger nicht unternommen.
Der Banderiummarsch erschien im August 1867 bei
Rózsavölgyi. Auf seinem Umschlag war ein Stich zu sehen, der einen
Kavalleristen mit Fahne darstellt. Das italienische Wort bandiera bedeutet
Fahne, das banderium hingegen steht für eine Truppe von Soldaten, die unter
gemeinsamer Fahne kämpfen. Ungarische Adelige, die bei dem adligen Aufstand
eine Truppe von mehr als fünfzig Kavalleristen stellen konnten, durften unter
eigener Fahne ins Feld ziehen. Das Jahr des letzten adligen ungarischen
Aufstandes war 1809; zu Mosonyis Zeit nannte man die berittenen zivilen oder
militärischen Truppenparaden Banderium. Mosonyi komponierte den Banderiummarsch
für das dritte Nationale Gesangsvereinsfest, das zwischen dem 9. und 13. August
1867 in Arad (seit 1920 in Rumänien) fand statt[18].
Der Marsch des Obersten Hertelendy bei Ulm (1805) erschien 1869 bei
Rózsavölgyi. Der Marsch war für Männerchor mit Klavierbegleitung, das Trio für
Klavier komponiert. Das Werk ist die Bearbeitung eines eigenen Stückes für
Männerchor mit Orchesterbegleitung[19]. Die Klavierstimme erweist sich
auch separat als wirkungsvolles Vortragsstück. Gábor Hertelendy (1742–1826)
entstammte einer Familie des niederen Adels, und hatte eine glänzende
militärische Laufbahn: er stieg vom gemeinen Soldat bis zum Generalleutnant[20]. Bei der Einnahme von Ulm am 20.
Oktober 1805 besiegte Napoleon den österreichischen General Mack[21] und nahm etwa fünfundzwanzig
Tausend Kriegsgefangene. Oberst Hertelendy gelang aber mit den von ihm
kommandierten Palatinus Husaren die französischen Linien durchzubrechen. Diese
Kriegstat ist im Marsch verewigt. Die zündenden Worte, die der tapfere Feldherr
an seine Soldaten richtete, sind in gereimte daktylische Strophen
zusammengedrängt. Die Melodie des
Marsches stammt nicht von Mosonyi, das Trio ist hingegen seine eigene Erfindung
mit Übernahme mehrerer Motive aus der Rákóczi-Weise. Die Notenausgabe war „Dem
Hochwohlgeborenen Grafen Pál Festetits, Präsidenten des Pester
Musikliebhabervereins“ gewidmet. Für eine kurze Zeit verrichtete Mosonyi die
Pflichten des Kapellmeisters des Vereins; sobald er aber einen geeigneten
Nachfolger fand in der Person von Karl Thern (1817–1886, Kapellmeister,
Komponist und Pianist), legte er sein Amt nieder[22].
Die Volksliedbearbeitungen[23] gehören zu Mosonyis
Übertragungen größeren Umfangs. Im Lauf von 1860–61 ließ er vier von ihnen im
Druck erscheinen. Es stellt sich die Frage, ob es berechtigt ist, die Themen
dieser Stücke als Volkslied zu bezeichnen. Laut einer 1954er Stellungnahme des Internationalen
Volksmusikrats ist der Gebrauch des Titels vollständig angemessen[24]. Alle Melodien erschienen 1851
in dem Sammelband 100 ungarische Volkslieder, den der hervorragende
Baritonist Mihály Füredi (1816-1861) gesammelt und der Tenorist,
Komponist und Kapellmeister Ignác Bognár (1811-1883) mit Klavierbegleitung
versehen hatte (Nrn. 53, 55; 45, 65; 10, 14, 21; 15, 70, 104). Füredi war
jedoch nicht der Komponist, sondern der Aufzeichner dieser Melodien. Damit ist
das erste Kriterium der Volksmusik, nämlich die mündliche Überlieferung
erfüllt. Füredi gab selbstverständlich die damals beliebtesten Lieder
heraus; sie wurden vom Volk selbst (und nicht von Füredi) bekannt gemacht.
Damit erfüllt sich das zweite Kriterium der Volksmusik, die Auswahl. Die
siebte und neunte Melodien tauchten bereits 1829 in der Begleitmusik zum
Lustspiel Tündérlak Magyarhonban (Feenhof zu Ungarn) von Johann Baptist
Hirschfeld – Zsigmond Szentpétery auf, wo der Baritonist,
Schauspieler und Komponist József Szerdahelyi (1804–1851) wieder einmal
lediglich der Zusammensteller der Musik und kein Komponist war. Dadurch
erfüllt sich das dritte Kriterium der Volksmusik, das heißt die Kontinuität.
Da diese Melodien mehrere notierten und gedruckten Text- und
Melodievarianten haben, ist mit Varietät auch das vierte Kriterium
erfüllt.[25]
Die Zwei Volkslieder (Erste, g-Moll Rhapsodie)
erschienen als die erste Beilage von Zenészeti Lapok in der (I/6) Nummer
vom 5. Dezember 1860 (die irrtümlich mit 5. November datiert wurde). Der
Notendruck stammt von dem Verleger Rózsavölgyi. Aus Mosonyis Brief der auf
Seiten 71–72 der Zeitschrift veröffentlicht wurde geht hervor, daß der
Komponist nach kraftvollem musikalischen Kontrast strebte, als er die der Bearbeitung als Grundlage dienenden
Lieder wählte. Als Klavierlehrer hielt er es für seine Aufgabe, das Stück in
technischer Hinsicht nicht allzu schwer zu gestalten. Der Schwierigkeitsgrad
der darauf folgenden Bearbeitungen ist konsequent stets höher: es ist, als ob
sie als Fortsetzung seiner Etüdenreihe Übungen für das Pianoforte zur
Bildung des Vortrages für ungarische Musik geschrieben worden wären. Diese
Stücke sind aber in erster Linie als Komponistenetüden erdacht: Mosonyi wollte
den Lesern der Zenészeti Lapok zeigen, wie die Volkslieder als thematisches
Material verwendet werden können, wie man aus ihnen verschiedene Formen
aufbauen kann. Der Titel Volkslied mag didaktisch oder demonstrativ
sein, aber keineswegs typisch. Der Herausgeber meint, diese Stücke entsprechen
sowohl in formeller wie auch technischer Hinsicht den Gattungskriterien der Rhapsodie.
Aus diesem Grund sind sie nachträglich im Interesse der leichteren
Unterscheidung und mit der verzeihlichen Willkür des Vortragenden so bezeichnet
worden. Die Anfangslinien der in der g-Moll-Rhapsodie bearbeiteten zwei Lieder
lauten: 1. „Man hat den Leichnam in den Hof ausgesetzt“, 2. „Im
Sommer werde ich Feldwächter.“
Die Zwei Volkslieder (Zweite, f-Moll Rhapsodie)
erschienen als zweite Beilage von Zenészeti Lapok (I/26, 27. März
1861.). Ihre Anfangszeilen lauten: 1. „Unter dem Himmel, auf der Erde /
niemand ist so verlassen wie ich;“ 2. „Von nun an interessiert mich
nicht mehr / Auch wenn die Welt schreit.“
Die Drei Volkslieder (Dritte, a-Moll Rhapsodie) kamen als dritte
Beilage von Zenészeti Lapok heraus (I/40, 3. Juli 1861.). Ihre
Anfangszeilen lauten: 1. „Betrübt ist das Wetter, betrübt bin ich selbst.“ 2.
„Meine Mutter sagt mir ständig: / Ich soll nicht so früh heiraten.“ 3. „Schau
mir, Liebste, in die Augen, / Was liest du mir aus ihnen heraus?“
Die Drei Volkslieder (Vierte, d-Moll Rhapsodie)
erschienen als vierte Beilage von Zenészeti Lapok (I/53, 3. Oktober
1861.). Die Anfangsworte lauten: 1. „Ich schließe mein betrübtes Herz“
2. „Marichen, Marichen, wie schön sind deine Augen.“ 3. „Mein Vater
war ein Großbauer, / Er hinterließ mir wahrlich viel; / Das Seil von sechs
Ochsen, / Und den Stiel einer Heugabel.“
Die Komposition Neujahrsgeschenk – Sechs ungarische Melodien von Gáspár
Bernát[26] erschien als eine unnumerierte
Beilage von Zenészeti Lapok (II/14, 2. Januar 1862.). Der fett gedruckte
Text unten auf der letzten Seite der Nummer gibt darüber Bescheid: „Der
heutigen Nummer ist ein ungarisches Musikstück von Mihály Mosonyi beigefügt.“ Der Titel der
Bearbeitung rührt auch daher: man schickte den Abonnenten die Komposition als
Geschenk zusammen mit der ersten Nummer des neuen Jahres.[27] Gáspár [Kaspar] Bernát (1810–1873)
war ein der Literatur lebende Rechtsanwalt: Er erlangte allgemeine Beliebtheit
durch seine eigenartigen Croquis mit absurdem Humor – die sogenannten Kasperiaden. Seine sechs kleine
Klavierstücke mit dem Titel Alföldi csárdások (Csárdás der Tiefebene)
wurden um 1840 von dem Pester Steindruckereibesitzer Friedrich August Walzel
verlegt. Leider fehlt der Umschlag des einzig erhalten gebliebenen
Exemplars mit dem letzten, sechsten Stück, aber Mosonyis Bearbeitungsmethode
läßt sich trotzdem analysieren. Er gestaltete die Tonartfolge C–C–C–a–C–(C?) in
die bewegtere C–G–C–a–C–F um und erweiterte die einfachen Formen durch sehr
neuartigen, geistreichen Kodas. Er machte die manchmal zu massive Begleitung transparenter,
ließ aber die Melodielinien fast unverbessert stehen. Er bereicherte die
Verzierungen ein wenig und machte die in jedem Fall mit Wiederholungszeichen
versehene zweite Melodielinie mit dem Komponieren einer double gelegentlich
abwechslungsreicher. Bereits der ursprüngliche Zyklus ragte von der
durchschnittlichen Literatur der Zeit hervor; Mosonyis Bearbeitung hob seine
Vorteile noch mehr hervor und verwandelte ihn in eine brillante Podiumsnummer.
Das Werk ist der ungarischen musizierenden Jugend gewidmet.
Die Ungarische Musik nach dem Tschardasch „Galgóczer Souvenir“ von János
Palotási[28] erschien als die fünfte Beilage
von Zenészeti Lapok (II/31, 1. Mai 1862.). János Pecsenyánszky (1821–1878)
war ein Rechtsanwalt, Notar und Komitatsarchivar polnischer Herkunft in
Jászság, dessen Csárdás-Kompositionen die Kapelle des Zigeunerprimas Ferkó
Patikárius (1827–1870) überall im Land bekannt machte. Pecsenyánszky
veröffentlichte seine Tanzstücke von 1859 an unter dem Namen Palotási.
Am 13. Februar 1861 richtete Mihály Mosonyi einen offenen Brief an ihn in Zenészeti
Lapok; Er bat ihn unter anderem um Erlaubnis, seine Werke bearbeiten zu
dürfen und Palotási willigte mit Freude ein[29]. Mosonyi wählte den Csárdás Galgóczer
Souvenir, der 1853 bei dem Pester Verleger József Treichlinger erstmalig
als Werk von Károly Patikárius (?–1858) gedruckt wurde[30]. Seine Form war einfach: ABBCDCD
(langsam), ABBABCDDCDEFFEFABB (schnell). Mosonyi verfolgte mit der Bearbeitung
die gleiche Methode wie im Fall von Neujahrsgeschenk. Er veränderte die
Reihenfolge des thematischen Materials nicht, und diesmal behielt er sogar die
Tonartfolge bei. Demgegenüber verlieh er der Form Besonderheit durch die
Einfügung von mehrmaliger Wiederkehr: so schuf er aus der einfachen Tanzform
einen romantischen Sonatensatz[31].
Die Komposition Freie Gedanken von Ignácz Frank von Szabad[32] wurde im
Spätfrühling 1864 von der Firma Rózsavölgyi gedruckt. Ignác Frank (1825–?)
studierte in Wien gleichzeitig Ingenieurwissenschaften und Musik. Im 1848–49er
Freiheitskrieg kämpfte er als Oberleutnant mit; nach dem Zusammenbruch leitete
er das Wirtshaus seines Vaters in Pápa, wo er den Studenten des dortigen
Kollegiums und den Zigeunermusikanten Musiktheorie beibrachte. Im Jahre 1863
machte er mit dem neuen Saitenharmonium eines Stuttgarter Instrumentenbauers eine
Rundreise in Ungarn, dann ließ er sich
als Weinhändler in Pest nieder. Er mietete das berühmte Komlókert
Restaurant und schrieb Wettbewerbe für die Belebung des Musiklebens aus. 1871
eröffnete er das Grand café delicatesse,[33] doch ging er in Konkurs. Er
beendete sein romanhaftes Leben in dem Kloster von Máriabesnyõ. Er war einer
der beliebtesten Csárdáskomponisten des 19. Jahrhunderts; seine Werke sind auch
heute noch regelmäßig gespielt. Seine Tänze wurden nicht nur von Liszt und
Brahms, sondern auch von Jules Massenet und dem Begründer der
ungarischen Violinschule Jenõ Hubay bearbeitet. Die Komposition Freie
Gedanken ist Carl Tausig (1841–1871), einem der Liszts Lieblingsschüler
gewidmet, dem Mosonyi nach seinem Abschiedskonzert im großen Saal des Pester
Európa Hotels am 3. April 1864 einen Lorbeerkranz als Huldigungszeichen
überreichte[34].
Die vorliegende
Notenausgabe umfaßt Mosonyis alle bekannten und auffindbaren
Klavierbearbeitungen für zwei Hände[35] mit Ausnahme von den zwei
umfangreichen Opernbearbeitungen[36].
Die Aufführungsprobleme
der Stücke in Verbunkosstil sind im Nachwort zur neuen Ausgabe von Mosonyis
Werk Übungen für das Pianoforte zur Bildung des Vortrages für ungarische
Musik (Budapest, 1996) ausführlich behandelt.
In der hier vorgelegten Ausgabe sind die Ergänzungen des Herausgebers durch
graue Farbe unterschieden. Die kritischen
Anmerkungen sind nach der englischen Übersetzung zu finden.
Ich bin der Musiksammlung der Széchényi
Nationalbibliothek, Budapest zu Dank verpflichtet, da sie dem
Verlag die zwei Autographe zur Verfügung stellte. Ich möchte mich ebenfalls bei
der Liszt Ferenc Universität für Musik,
Musikhistorische Forschungsbibliothek, Budapest für die
Photokopien der Erstausgaben der herausgegebenen Werke bedanken.
Ich danke allen meinen Mitarbeitern, die die Ausgabe mit ihrer
aufopferungsbereiten Arbeit ermöglichten. Endlich aber nicht zuletzt auch
denen, die die Veröffentlichung finanziell unterstützten.
István Kassai
Budapest, im Advent 1999
Übersetzung von Erzsébet
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Naxos Marco Polo. 8223560. CD notes.
Legány D. (1998b): Mihály Mosonyi Piano Works. Vol. 5.
Naxos Marco Polo. 8225022. CD notes.
Legány D. (1999): Mihály Mosonyi Piano Trios. Naxos
Marco Polo. 8225042. CD notes.
Mona I. (1989): Magyar zeneműkiadók és tevékenységük
1774–1867. MTA Zenetudományi Intézet. Budapest.
Nagy I. (1859): Magyarország családai. Ráth Mór. Pest.
Tom. V.
Nagy I. (1862): Magyarország családai. Ráth Mór. Pest.
Tom. IX.
Ságh J. (1879): Magyar zenészeti lexikon. A szerző
kiadása. Pest.
Sárosi B. (1997): Meddig terjed a népies dal határa.
In. Bónis F. (szerk.): Kodály emlékkönyv 1997. Püski. Budapest.
[1] Gmasz, P., Gmasz, S., S. 14–15. Deutschsprachige Literatur s. Bónis (1962), Hoffer, Káldor.
[2] Gollowitzer, M., S. 53–62.
[3] Bónis, F. (1989a), S. 170–171.
[4] Bónis, F. (1960), S. 29–72.
[5] Bónis, F. (1960), S. 62–72.
[6] Bónis, F. (1960), S. 77–264.
[7] Bónis, F. (1960), S. 142–162.
[8] Bónis, F. (1960), S. 254–264.
[9] Legány, D. (1998a), S. 4.
[10] Bónis, F. (1989a), S. 169. Signatur: Ms mus 3483.
[11] Kassai (2001), S. 101–102.
[12] Bónis, F. (1989a), S. 169. Signatur: Ms mus 6126.
[13] Bónis, F. (1960), S. 276.
[14] Kassai (2001), S. 102–103.
[15] Bónis, F. (1989a), S. 169. Mona, I., No. 1687.
[16] Bónis, F. (1960), S. 197–215.
[17] Bónis, F. (1960), S. 277.
[18] Die freundliche Mitteilung von Ferenc Bónis. Mona, I., No. 2235.
[19] Bónis, F. (1960), S. 252.
[20] Nagy, I. (1859), S. 106–107.
[21] Legány, D. (1998a), S. 4.
[22] Bónis, F. (1960), S. 250–252.
[23] Bónis, F. (1960), S. 157–159. Mona, I., No. 1472, 1522, 1523, 1552, 2980, 2981.
[24] Sárosi, B., S. 125–132., S. 131. 7. Note (siehe in der 24. Note des englischen Textes dieser Notenausgabe.)
[25] Kassai (2001), S. 99–101.
[26] Bónis, F. (1960), S. 196. Mona, I., No. 1593.
[27] Kassai (2001), S. 102.
[28] Bónis, F. (1960), S. 198. Mona, I., No. 1615.
[29] Die freundliche Mitteilung von Ferenc Bónis.
[30] Mona, I., Nr. 668. Plattennummer J.T.268.
[31] Kassai (2001), S. 103.
[32] Mona I., No. 1907.
[33] Ságh, J.
[34] Bónis, F. (1960), S. 226.
[35] Für die volle Werkliste s. Bónis F. (2000a), S. 20–30.
[36] Mosonyi, M. (1861): Szép Ilonka, 57 Seiten, Plattennummer: G.N. 721, Rózsavölgyi, Pest, eine stark verkürzte Bearbeitung; Doppler F., Mosonyi M. (1848): Beniowsky, 103 Seiten, Plattennummer: J. T. 157., Treichlinger. Pest.